Dienstag, 13. März 2012

Tim Jackson: Wohlstand ohne Wachstum.

"Wohlstand ohne Wachstum" gehört seit langem zu den Vortragstiteln einiger Fairconomy Referenten. Der Britische Autor hat den Titel aufgegriffen, ohne den Wachstumsmotor Zins explizit zu untersuchen. Wir möchten das Buch dennoch würdigen, mit einer Buchbesprechung von Professor Roland Geitmann.

Tim Jackson: Wohlstand ohne Wachstum. Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt. Hrsg. v. d. Heinrich-Böll-Stiftung. Aus dem Englischen von E. Leipprand. Mit Vorworten von Jürgen Trittin, Uwe Schneidewind und Barbara Unmüßig. Oekom Verlag 2011, 239 Seiten, 19,95 €.

Der Autor ist Professor für Nachhaltige Entwicklung am Zentrum für Umweltstrategien der Universität Surrey und leitendes Mitglied der britischen Regierungskommission SDC (Sustainable Development Commission), die im Jahr 2009 einen Bericht unter dem Titel „Prosperity Without Growth?!“  vorlegte. Hierauf stützt sich Jacksons Buch, mit dem er das Wachstumsparadigma nunmehr unüberhörbar infragestellt. „Ein neues Denken hat Einzug gehalten in die Welt der Ökonomie, und dieses Buch sollte zu den ersten gehören, die man dazu lesen sollte. Ein Buch wie ein Manifest“, kommentierte die Tageszeitung The Guardian.

„Unsere Technologien, unsere Wirtschaftsform und unsere sozialen Ziele lassen sich allesamt mit sinnvollem Wohlstand nicht vereinbaren. Unsere Vorstellung eines gesellschaftlichen Fortschritts, der auf ständig zunehmenden materiellen Bedürfnissen beruht, ist grundsätzlich unhaltbar.“ (S. 24) Im Anschluss an Amartya Sen wirbt Jackson dafür, Wohlstand weder über „Fülle“ noch über „Nutzen“ zu definieren, sondern als „Fähigkeit zum Gedeihen“ und dabei ökologische Grenzen und die Größe der Weltbevölkerung von vornherein mitzudenken.

Entschieden widerspricht Jackson der Illusion, die (dringend notwendige) „Entkoppelung“ zwischen Wirtschaftswachstum und Ressourceninanspruchnahme reiche allein aus. Zwar sei eine „relative“ Entkoppelung auf vielen Feldern gelungen; doch bedingt durch das Wirtschaftswachstum insbesondere der Schwellenländer seien die „absoluten“ Zahlen weiter gestiegen, was bei Fortsetzung ins Desaster führe. Deswegen sei es unausweichlich, die Struktur der Marktwirtschaften zu verändern.

Bei seinen Ansätzen zur Veränderung dringt Jackson nur zaghaft zur Rolle des Geldwesens vor. Zwar erkennt er die Tendenz zu Kreditausweitung, Überschuldung und entsprechenden Zinslasten sowohl der Verbraucher als auch des Staates. „Der Markt wurde durch das Wachstum selbst zerstört“ (S. 51), heißt es unter „Labyrinth der Schulden“ im Kapitel 2 über „Das Zeitalter der Verantwortungslosigkeit“. Doch dass Zinsrechnung und das entsprechende Abdiskontieren künftiger Effekte die Wirtschaft auf kurzsichtiges Denken programmieren und Wachstum erzwingen, bemerkt er nicht. Hier ansetzende Autoren und Ideen bleiben ausgeblendet. Erwähnung finden (S. 181 f.) lediglich die Tobin-Steuer zur Mäßigung internationaler Devisentransfers und die 100%-Reserve bei Krediten (J. Robertson, H. Daly, in Deutschland durch J. Huber bekannt unter „Vollgeld“).

Eine ökologische Makroökonomie sei erst noch zu entwickeln. Vorerst setzt Jackson auf die Festlegung von Obergrenzen und Reduktionszielen für Ressourcen und Emissionen, auf ökologische Steuerreform und Unterstützung des ökologischen Wandels in Entwicklungsländern. Statt zunehmende Arbeitsproduktivität und damit wachsende Arbeitslosigkeit zu begünstigen, solle in Arbeitsplätze, Dienstleistungen, Vermögenswerte und Infrastruktur investiert werden, was der öffentlichen Hand mehr Aufgaben zuweise. Die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung müsse soziale und ökologische Wirkungen mit erfassen, die Arbeitszeit gesenkt und besser verteilt werden. Ein solches Wirtschaftsmodell werde „weniger kapitalistisch“ sein.

Bei aller Zustimmung bedauert man als Leser die Lücke „Geld- und Eigentumsordnung“ und wünscht sich eine Begegnung der Ideenströme – z. B. durch Wahrnehmung dessen, was der britische Ökonom J. M. Keynes über Silvio Gesell schrieb oder was Dieter Suhr, Bernard Lietaer und andere auch in englischer Sprache über notwendige Veränderungen im Geldwesen publiziert haben. Denn umlaufgesichertes Geld wirkt ja in beiden Richtungen, erleichtert Wachstum, wo es erforderlich ist, ohne es über jeden Bedarf hinaus systemisch zu erzwingen, und ist deshalb vermutlich Kernvoraussetzung für eine Steady-State-Ökonomie.  

13. März 2012



 

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